Die fantastische Hummer Rettung

Nur wenige Touristen tummeln sich abseits der Hauptsaison in der historischen Stadt.  Venedig im Jänner ist einfach märchenhaft schön. Der Mond spiegelt sich malerisch im Wasser des Canale Grande, der schicke Barpianist schmettert hochmotiviert einen Hit von Eros Ramazotti und trifft dabei fast jeden Ton. Romantik pur. 

Doch seit Elisabeth das Hummerbecken in der Ecke des kleinen Lokals entdeckt hat, ist die Stimmung getrübt. Drei traurige Gestalten krabbeln mit gefesselten Scheren in dem kleinen Glasbehälter auf und ab. Wir fragen uns ob irgendwer heutzutage noch Hummer bestellt? 

 

Die Antwort liefert ein Kellner, der mit einer Zange bewaffnet aus der Küche kommt, und einen der Hummer aus dem Becken holt. Mit dem armselig zappelnden, tropfenden Hummer läuft er durchs Lokal, vorbei an uns in die Küche. Natürlich können Hummer nicht schreien. Aber ich schwöre, wir haben ihn gehört.

 

Elisabeths Miene versteinert sich. Ich ahne was jetzt kommt. Variante 1: Sofort austrinken, zahlen und das Lokal verlassen. Variante 2: Zahlen und das Lokal verlassen ohne auszutrinken. 

Sie blickt zu mir und nennt keine der beiden Varianten: „Lass uns die beiden anderen Hummer retten!“ 

Ich grinse breit. Echt, auf so eine Idee kann nur meine Frau kommen!

Der Kellner kommt zurück aus der Küche.

“Excuse me, can we buy the lobsters also for take away?” frage ich.

Der Kellner schaut sehr irritiert drein, das kommt vermutlich nicht so oft vor.

Er murmelt “just a moment” und verschwindet hinter der Bar. 

Sekunden später ist er zurück, und nennt uns den Preis für die beiden Hummer. 

Elisabeth und ich schauen uns kurz an. Jetzt grinsen wir beide. Was soll ich sagen, um diesen Preis könnte man sich auch eine Flasche Champagner kaufen. Es soll aber auch Leute geben, die pfeffern diese Summe zu Silvester in den Nachthimmel. Also was soll´s, wir stimmen zu. 

 

Nachdem wir bezahlt haben, kommt der Kellner mit der Zange, einer Plastiktasse und einem Messer aus der Küche. 

„Shall i cut them for you?”, fragt er.

“No, we want to rescue them. We need them alive!”  platzt es aus Elisabeth blitzschnell heraus.

Jetzt scheint er sich endgültig als unfreiwilliger Star von „Achtung Kamera“ zu sehen, behält aber die Fassung, packt die beiden Hummer schweigend ein, und wickelt noch eine Frischhaltefolie um die Tasse. 

So kommts, dass wir kurz darauf lachend mit zwei Hummern in einer Plastiktasse durch das nächtliche Venedig marschieren. Unser Ziel ist der Markusplatz mit direktem Zugang zur Lagune und dem Meer.

Die zehn Minuten Fußweg nutzen wir, um den beiden gleich passende Namen zu geben. Ron & Harry finden wir ganz gut.  

Der heilige Markus hat sicherlich vor seinem Dom schon viele seltsame Dinge gesehen, aber jenes Pärchen das mit zwei Hummern an ihm vorbeimarschiert ist, wird garantiert einen Platz in den ewigen Charts bekommen.

Wir finden einen Bootssteg der ein wenig im Schatten der Laternen liegt, und befreien Ron & Harry zunächst aus der Plastiktasse. Anschließend fummeln wir die festen Gummibänder von den Scheren. Jetzt ist der feierliche Moment gekommen. Elisabeth lässt Harry ins Wasser gleiten. Mit zwei Schlägen der kräftigen Schwanzflosse saust er davon. Jetzt noch Ron. Auch er taucht sofort ins tiefere Wasser ab. 

Natürlich können Hummer nicht lachen. Aber ich schwöre, wir haben sie lachen gehört!

 

Elisabeth und ich lächeln uns an. Ein großartiges Gefühl. Kein Feuerwerk der Welt, keine Flasche Champagner können das übertreffen! 

 

 

PS: Manche werden sagen, in Venedig werden pro Tag unzählige Hummer verspeist. Diese Aktion macht doch keinen Unterschied. Doch! Für Harry und Ron macht´s definitiv einen Unterschied!

 

PPS: Aber wer weiß wie lange die beiden in der freien Wildbahn überleben? Tja, soviel ist fix: Auf jeden Fall länger als im Lokal. Dort wären sie am selben Abend noch im kochenden Wasser gelandet.

 

PPPS:  Hummer verfügen über ein komplexes Nervensystem und können Schmerz empfinden. 

Die Tiere können sich auch an Schmerzen erinnern und Angst empfinden. (siehe*1 und *2) 

 

*(1) Birch, Jonathan & Burn, Charlotte & Schnell, Alexandra & Browning, Heather & Crump, Andrew (11.2021): Review of the Evidence of Sentience in Cephalopod Molluscs and Decapod Crustaceans, https://www.lse.ac.uk/business/consulting/reports/review-of-the-evidence-of-sentiences-in-cephalopod-molluscs-and-decapod-crustaceans, 

*(2) B. Magee; R. W. Elwood (2013): Shock avoidance by discrimination learning in the shore crab (Carcinus maenas) is consistent with a key criterion for pain, The Journal of Experimental Biology S. 353-358, https://jeb.biologists.org/content/216/3/353,

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Kommentare: 5
  • #1

    Martina (Donnerstag, 02 Februar 2023 22:25)

    Wenn auf der Welt mehr so tolle Menschen wie ihr leben würden, wäre diese um ein großes Stück besser un schöner �

  • #2

    Evi (Freitag, 03 Februar 2023 08:12)

    I kennt eich obussln---jetzt hob i Pipi in den Augen!

  • #3

    Rebecca (Freitag, 03 Februar 2023 12:56)

    Liebs!!! Ama e lascia vivere ♥️

  • #4

    Gerhild (Samstag, 04 Februar 2023 09:54)

    Toll, ich würde es ebenso machen

  • #5

    Maggie (Donnerstag, 27 Juli 2023 20:57)

    Diese Geschichte geht mir direkt ins Herz ❤️ und was soll ich sagen...�����!!! 1000 Dank an euch beide!!!